Wie der Körper mit außergewöhnlichen Situationen des Lebens umgeht, das habe ich bereits mit dreieinhalb Jahren erfahren, als ich für einige Zeit zu einer Pflegemutter gegeben wurde. Heute weiß ich, dass das Drama bereits viel früher begonnen hatte. Wie der Körper immer wieder abspaltet, weil es der Psyche zu viel und zu laut ist und Angst die allgegenwärtige Bedrohung darstellt, erfuhr ich auch in den darauffolgenden Jahren im Kinderheim. Ich erlebte zahlreiche Situationen von physischer u/o psychischer Gewalt und blieb auch vor sexueller Traumatisierung nicht verschont. Die Konsequenz daraus war, dass ich für sehr lange Zeit ein «Leben» führte, das in Tat und Wahrheit einzig Überleben war. Die Kehrtwende kam, als ich an meinem ersten systemischen Seminar bei Jakob Schneider in München (1995) teilnahm, wo ich mein Anliegen vorbrachte, dass es mein Wunsch wäre herauszufinden, was Liebe ist. Es war mein innerstes Bedürfnis, die Wahrheit über mich selbst herauszufinden – weg von irgendwelchen Illusionen, an denen ich mich bis dahin orientierte. Nebst dem familiensystemischen Arbeiten war es wichtig, dass ich auch an meiner körperlichen Wahrnehmung arbeitete. Mit der Unterstützung meiner Atem- und Körpertherapeutin Lilo Ramser in Bern, lernte ich unter anderem zwischen einem Dasein in einer Watte bepackten Glasglocke und dem wachen Präsentsein zu unterscheiden. Zu diesem Arbeiten (2002) gehörte es auch, therapeutisch Tagebuch zu schreiben – und was ich zuerst fast widerwillig tat, zeigte sich dann als enorm heilender Prozess. Aus schlussendlich gut 3500 Seiten Tagebuch-Material entstand dann mein Buch Lavendelhonigkuss, das ich im Januar 2020 veröffentlicht habe.
2014 lancierte die
Guido Fluri Stiftung die Wiedergutmachungsinitiative. Diese forderte u.a. auch die finanzielle Wiedergutmachung für schwer betroffene Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmaßnahmen bis 1981. Selbst betroffen, stellte auch ich 2021 den Antrag an das Bundesamt für Justiz, Bern und erhielt am 21. Okt. 2021 die Gutheißung/Verfügung; „Solildaritätsbeitrag für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981“. In diesem offiziellen Schreiben ist u.a. zu lesen;
„…dass Sie ein Opfer im Sinne des Gesetzes sind. Die Behörden anerkennen damit, dass Ihnen Leid und Unrecht angetan worden ist, das sich auf Ihr ganzes Leben ausgewirkt hat.“ Dies zu lesen, gab mir Genugtuung. Die Mittel, die ich als Wiedergutmachung erhalten habe, sollten jedoch einem bestimmten Zweck dienen. Dazu einen kurzen Exkurs.
Damit diese Arbeit in der erforderlichen Tiefe gelingen kann, ist es meines Erachtens auch notwendig, einen Wohlfühlraum anbieten zu können, in dem sich Menschen geborgen und sicher fühlen können. Diesen, in diesem Sinne zu gestalten, war mir ein von Herzen kommendes Bedürfnis. Die erhaltenen, wie auch benötigten Mittel aus der Wiedergutmachung kamen mir also sehr gelegen und ich liess sie meiner Schule für deren Neugestaltung zukommen. Meiner Berufung folgend „aus Mist Dünger machen zu können“, soll das Erhaltene den Interessierten meiner Angebote zu Gute kommen.
Ich bin ein lebendiger Mensch geworden, der mit wachem Geist durchs Leben geht und mit der richtigen Unterstützung von Fachpersonen gelernt hat, wie wirkungsvoll es ist, sich an der eigenen Identität zu orientieren und zu handeln.
Menschen die mich näher kennen, wissen, dass ich mich gerne an der frischen Luft bewege – sei es auf dem Bike, beim Wandern oder Skitouren/-fahren – mit meiner Familie oder mit mir selbst. Ebenso würden sie vielleicht erzählen, dass ich gerne koche und mit Freunden das gemeinsame Sein genieße.